Hausdorf, Jauernig,
  und Neugericht:

 

Umgebung - Vertreibung der Hausdorfer

Veröffentlicht 1986 im Selbstverlag von Ernst Leupold:

 

>>Die nachstehenden Zeilen sollen uns noch einmal zurückführen in die Zeit, in der die Dorfgemeinschaft aus Hausdorf, Kreis Waldenburg in Schlesien, durch die Verträge der Siegermächte gewaltsam ihre Heimat verlassen mussten.
Es sollen aber nicht alte Wunden aufgerissen werden. Angst, Not und Sorgen, die Ungewissheit von damals, könnten zu einem Alptraum führen. Unsere Nachkommen sollten die Zeilen besinnlich lesen. Dann werden sie verstehen, was die Menschen durch die Vertreibung an seelischer und körperlicher Kraft geleistet haben.

 

Als damals - am 8. Mai 1945 - der mörderische Krieg zu Ende war, hofften alle, dass sich das Leben wieder normalisieren würde. Statt dessen kam die Zeit der Ungewissheit. Rundfunkgeräte mussten abgegeben werden, Tageszeitungen gab es keine, und so blieb die Bevölkerung ohne amtliche Nachrichten" Es stellten sich Gerüchte ein. Ob sie auf Wahrheit beruhten oder nur Unruhe unter die Menschen bringen sollten, keiner wußte es. Da hieß es, die Glatzer Neiße soll Grenzfluß werden, später die Weistritz mit einem Schlagbaum an der Thielbrücke - und niemand dürfe hinüber oder herüber. Inzwischen kamen die ersten Polenfamilien und verdrängten die alteingesessenen Deutschen aus ihren Wohnungen. Das Gemeindeamt wurde in der unteren Schneider-Villa an der Eulestraße eingerichtet. Der neue polnische Bürgermeister, ein Mann in den besten Jahren, schwarzhaarig und weiße Zähne, kannte keine Gnade. Bald hatte er zwei Agenten um sich, Zurückgebliebene von der Firma Krupp und der damaligen O.T. (Organisation Todt). Sie bespitzelten die rechtlos gewordene Bevölkerung. Das Eigentum wurde ihnen genommen, welches sie sich in vielen Jahren erarbeitet hatten. Die Menschen wurden zu Sklaven gemacht. Hinzu kam, dass jeder Deutsche eine weiße Armbinde am linken Oberarm tragen musste. So waren wir gekennzeichnet. Diese Armbinde hatte aber auch ihren Vorteil: Kam jemand entgegen, konnte man schon von weitem sehen, ob es ein Deutscher war oder nicht. Trug er eine Binde, war nichts zu befürchten, ansonsten musste damit gerechnet werden, dass man kontrolliert wurde.
Es kamen immer mehr polnische Familien aus dem Osten und ließen sich hauptsächlich auf den Bauernhöfen und in den Handwerksbetrieben nieder, obwohl sie von dem jeweiligen Fach nichts verstanden. In den langen Winterabenden wurde viel geplündert. Die meisten hatten noch Kleidungsstücke, Schmuck oder sonstige Wertsachen versteckt, was von den Polen mit List gefunden wurde. Dabei wurde mancher Deutsche von Schlägen nicht verschont.
Weihnachten 1945 waren wohl die traurigsten Tage, an die sich die Menschen erinnern konnten, In vielen Familien fehlten der Vater oder die Sahne, die entweder gefallen, in Gefangenschaft oder vermisst waren. Das Leben war oft nicht mehr lebenswert. Dazu kam die Ungewissheit der Zukunft.
Nachdem die wärmende Sonne den Winter bezwungen hatte, die Tage wieder länger wurden, hofften alle auf ein schönes Frühjahr. Es grünte wieder, an den Bäumen und Sträuchern quollen die neuen Triebe hervor, die blühenden Weidenkätzchen gaben den Bienen die erste Nahrung, das Wasser in den Gebirgsbächen plätscherte munter von Stein zu Stein, wo die blitzschnellen Forellen vor ihren Schlupfwinkeln standen. Die Bauern, die nur noch Knechte waren, bestellten die Felder. Sie säten das Sommergetreide, legten die Kartoffeln in die Furchen und die Rübenkörner - als ob es noch ihr Eigentum wäre. Einige Textilfacharbeiter gingen nach Wüstewaltersdorf in die Betriebe, Handwerker beschäftigten sich mit Instandsetzungsarbeiten, die sich durch die Kriegsjahre angehäuft hatten. Aber hauptsächlich war jeder damit beschäftigt, für das tägliche Brot zu sorgen.
Die Gerüchte und Meldungen, die von Mund zu Mund gingen, wurden immer beängstigender" So erzählte man sich, dass verschiedene Nachbardörfer schon ausgewiesen wurden. Das Unglaubliche geschah. An den amtlichen Aushängestellen waren Plakate angebracht mit der Bekanntmachung, dass die deutsche Bevölkerung von Jugowice (Hausdorf) durch Befehl der polnischen Militärregierung am 4. Mai 1946 repatriiert wird. Das heißt soviel: Daß die Nachkommen der Deutschen, die seit dem zwölften Jahrhundert wohl die damaligen polnischen Gebiete besiedelt hatten, auf die aber 1335 der damalige polnische König Kasimir auf der Burg Trentschin zugunsten des böhmischen Königs Johann von Luxemburg und seines Sohnes, des späteren deutschen Kaisers Karl IV, auf ewige Zeiten und somit auf Schlesien verzichtet hatte, aus einem Land, was in Hunderten von Jahren, von vielen Generationen urbar gemacht und kultiviert worden war, durch harte Arbeit zu einem blühenden Land geschaffen wurde, vertrieben werden. Vertrieben aus ihrer schlesischen Heimat. Die Steinrücken zwischen den Feldern sind bleibende Zeugen deutschen Fleißes.
Bis zum 4. Mai waren es nur noch ein paar Tage" Jeder konnte soviel mitnehmen, was er tragen konnte und bis 5oo RM. Sammelstelle war der Sportplatz am Jahnweg. Alles war in Aufregung, an vieles musste gedacht werden. Angefangen bei der Bekleidung, da wurden Unterwäsche und Oberbekleidung doppelt angezogen. Für Essen und Trinken mußte gesorgt morden, denn keiner wusste wohin mir gebracht und wann wir wieder ein Dach über dem Kopf haben würden. Sehr schlimm war es für die Mütter, die noch für ihre Kinder und Kleinkinder oder gar für ihre Säuglinge zu sorgen hatten. Das letzte Geld hatten sie meistens schon für Zloty umgetauscht, um das Notwendigste kaufen zu können. Viele Dinge mussten zurückgelassen werden, von denen man sich schweren Herzens trennte"
Alte Leute, Kinder und Gehbehinderte wurden mit von Pferden bespannten Kastenwägen befördert. Obwohl alle nur das Notwendigste zusammengepackt hatten, war die Bürde zu schwer zum Tragen auf einem langen Weg. Und so wurden Kinderwagen, Leiterwägelchen oder Vorderteile von Handwagen zu begehrten Transportmitteln.
Es war wohl in der neunten Stunde, als sich die Hausdorfer Dorfgemeinschaft am 4. Mai auf dem Sportplatz sammelte. Nur einige Handwerker und Facharbeiter wurden zurückbehalten, die aber nach einigen Wochen ebenfalls die Heimat verlassen mussten. Die Miliz durchsuchte nachmals alle Häuser, damit sich nicht etwa einer ohne Bescheinigung der polnischen Anordnung entzogen hätte. Nachdem wir von den Polen registriert und kontrolliert morden waren - wobei noch einige Gegenstände den Besitzer wechselten -setzte sich der Zug, einer Beerdigung gleich, in Marsch. Die Gesichter waren ausdruckslos. Die Menschen dachten wohl alle an das, was sie zurücklassen mussten; Die Bauern an das Vieh, und sei es der treue Hund oder die Katze gewesen, die selbständigen Handwerker an ihre Werkstätten, die Kinder weinend an ihr geliebtes Spielzeug, an ihre Lieblingspuppe.
Der Zug, eskortiert von polnischer Miliz mit umgehängten Gewehren und aufgepflanzten Seitengewehren, ging vom Jahnweg über den Eulebach zur Eulestraße. Hinter der Bahnbrücke noch ein Blick zum Bahnhof, am Gasthaus "Zur Brauerei" vorbei, in dem früher die Amts- und Gemeindeverwaltung untergebracht war, wo der Sportverein sein Vereinslokal hatte und wo in dem gemütlichen Saal so manche schöne Veranstaltung stattgefunden hatte" Links abbiegend kamen wir auf die Hauptstraße, die mit kleinen Granitwürfeln gepflasterte alte Reichsstraße, die von Breslau, der Provinzhauptstadt, bis in die Tschechoslowakei führt. Hier schauten wir noch einmal ins Niederdorf, "Zur guten Laune", wo der attraktive Turnverein "zu Hause" war und seine schönen Stiftungsfeste gefeiert hatte; hinüber zur Kynsburg, von dessen Turm aus man runter zur Weistritztalsperre, die sich in dem engen bewaldeten ehemaligen Schlesiertal bis zur Mauer windet, auf die Badewiesen mit dem bunten Treiben schauen konnte.
Weiter ging es über die Brücke, die Hauptstraße entlang, am Kriegerdenkmal vorbei, längs der friedlich rauschenden Weistritz, die aber zur Schneeschmelze oder nach langen Regentagen zu einem gefährlichen Fluss ansteigen konnte. Nach der Endelmühle und der Scholtisei führte der Weg rauf zu unserer zweistöckigen Schule, in der uns bei preußischer Ordnung das Wissen für das spätere Leben beigebracht wurde. Vor der Schule steht die gewaltige Friedenseiche von 187o/71. Geradeaus beginnt das Oberdorf, wo die Straße bis rauf zur letzten Dorfschenke "Zur Höhlenmühle" am Fuße des 811 m hohen Wolfsberges vom Jauerniger Wasser begleitet wird.
Unsere Straße biegt rechts ab über die Thielbrücke mit ihren drei großen Bögen und windet sich am Thielberg entlang. Mit bedrückten, traurigen Gesichtern konnten wir noch einmal in das Oberdorf sehen. Gleich am Anfang sieht man das "Spritzenhaus", in dem die Geräte unserer immer schnell einsatzbereiten Feuerwehr untergebracht waren, dahinter ist die Eisenbahnbrücke; links der Mittelberg, rechts die Langen Brachen mit den langgestreckten Steinrücken bis zum Wolfsberg. In der Mitte des Tales, an beiden Seiten des Baches, stehen die von Bäumen umgebenen Gehöfte und Häuser. Dieses vertraute Bild wird uns immer in Erinnerung bleiben"
In der Talenge, zwischen Venturberg und dem sagenumwobenen Haubenstein, wo die verträumte Koch- bzw. Nagelmühle über die Weistritz herüberschaut, mußten mir endgültig von unserem lieben Hausdorf Abschied nehmen. Danach, in Erlenbusch - an der Ecke Gasthof "Zum Erlenkretscham" - verließen wir die alte Reichsstraße und mir zogen die ansteigende Serpentine über Wäldchen nach Reußendorf. Auf der Wäldchener Höhe konnten wir bei schönem Wetter ein letztes Mal über die vertrauten Berge bis zur Hohen Eule (1o14 m) sehen.
Die kleinen Fahrzeuge hatten unter der schweren Last sehr zu leiden. Es war ihnen auch viel zugemutet worden. Aber jeder wollte doch zumindest das Notwendigste mitnehmen. Besorgt wurden die kleinen Räder beobachtet, die immer mehr quietschten und leierten und am Ende unter der Last zusammenbrachen. So gut es ging mußten die Habseligkeiten auf die noch stabilen Wagen umgeladen oder getragen werden, wobei die Miliz immer wieder vorwärts drängte. Hinter Reußendorf, an der Cäsargrube vorbei, kamen wir auf die Kreuzung, wo es links nach Bärengrund und rechts nach Neu Krausendorf geht. Die Straße führt geradeaus nach Altwasser. Von der ewigen Anstrengung schmerzten die Füße und es war, als ob die Last immer schwerer würde.
Nun ging es bergab und wir erreichten die Waldenburger Stadtgrenze, Ober Altwaaser. Die Straße ist holprig, und auf den großen Pflastersteinen lief es sich schlecht. Die Ausfälle unserer kleinen Wagen häuften sich bedrohlich. Aber mit Mühe und Not kamen mir bis zu der großen weltlichen Schule in Altwasser, in die wir eingewiesen wurden.
Jeder hatte mit seinem Gepäck ein Plätzchen in einem der Klassenzimmer gefunden und machte sich sogleich mit der Umgebung vertraut. Mütter sorgten zuerst für ihre Kinder, die inzwischen unruhig geworden waren, wofür jeder Verständnis zeigte, konnten sie doch den ganzen Tag nicht richtig betreut werden.
Inzwischen hatten einige fahrbare Wagen den Besitzer gewechselt, was zunächst ärgerlich war. Im Schulhof waren mit hohen Bretterwänden Latrinen errichtet morden, die unsere Vorgänger schon reichlich benutzt hatten. Beim Hinblick in die Gruben - man traute seinen Augen nicht - lagen doch Sparbücher, Papier- und Silbergeld darin, die von der Notdurft teilweise bedeckt waren. Der Anlass dazu war die bevorstehende scharfe Kontrolle gewesen.
Die Nacht, welche die letzte in der Heimat sein sollte, verbrachte jeder nach seiner Art ruhend auf dem Lager. Mit großer Unruhe begann der neue Tag. Es war der 5. Mai, ein Sonntag.
In der Turnhalle waren lange Tischreihen aufgestellt, dahinter die polnischen Kontrolleure, die jedes einzelne Gepäckstück gewissenhaft durchsuchten. Brieftaschen und Portmonees mussten vorgezeigt werden. Alles, was den "Herren" zuviel erschien, wurde abgenommen. Einige Frauen und Männer mussten sich sogar einer Leibesvisitation unterziehen. Anschließend wurden wir gruppenweise auf dem Hof zusammengestellt. Als dann alles seine Ordnung hatte, verließen wir den Schulbereich und wurden zum Bahnhof Altwasser geleitet. Die neuen Besitzer unserer Wagen hatten für die Beförderung unserer Gepäckstücke einen Pendelverkehr zwischen der Schule und dem Bahnhof eingerichtet, womit sie sich ein paar Zloty verdienten.
Der lange Güterzug stand schon bereit. Zum Glück waren es überdachte Waggons. Es war wohl für jeden ein komisches Gefühl, wusste doch keiner wohin uns der Zug bringen würde. Für jede Gruppe, die aus ungefähr 33 bis 35 Personen bestand, war ein Waggon vorgesehen. Für jede Gruppe musste einer als Waggonführer benannt werden. Beim Einsteigen half man sich gegenseitig, und jeder suchte sich wieder ein Plätzchen, welches für jeden begrenzt war. Das Gepäck diente als Sitzgelegenheit - und so warteten wir auf die Abfahrt. Endlich gegen Abend, es war in der siebenten Stunde, wurde
die Lok angekoppelt. Nachdem die Türen zugeschoben und verriegelt waren, setzte sich der Zug in Bewegung. Wenn die Räder über die Weichen fuhren, rüttelte der ganze Waggon. Mit zunehmender Geschwindigkeit rollte der Zug in die Nacht hinein. Monoton rollten die Räder, und unter uns breitete sich Stille aus. In Gedanken war jeder daheim, und das Geschehen der letzten Tage war noch so unbegreiflich, dass alle das Gefühl hatten, alles wäre nur ein böser Traum. Es wurde eine lange Nacht. Müde und fröstelnd erreichten wir am anderen Tag, es war der 6. Mai, morgens gegen sechs Uhr Kohlfurt.
Alle atmeten auf und waren froh, dass es nach dem Westen ging. Der Zug hielt auf einem Nebengleis, und wir konnten aussteigen. Das Wetter meinte es gut mit uns. Jeder nutzte die Zeit, um neue Informationen zu erfahren, mit bescheidener Körperpflege, und ansonsten vertrieb sich jeder auf seine Art die Langeweile. Nur bei den Müttern war durch die Sorge um die Kinder die Zeit immer ausgefüllt. Um halb zwei sollte es weiter gehen, aber die Polen nahmen es mit der Pünktlichkeit nicht so genau. Da kam der Aufruf zur Entlausung. Männer und Frauen getrennt wurden mit einem kalkähnlichen Staub mittels einer Handpumpe von Kopf bis Fuß, von vorn und von hinten, wobei zum Teil die Kleidung geöffnet werden musste, bepudert. Der nächste Weg führte zur Latrine, wo man sich von dem Staub, der ein unangenehmes Gefühl verursachte, befreite.
Um sechs Uhr nachmittags war es dann soweit. Nachdem alle wieder eingestiegen waren, ging die Fahrt weiter in Richtung Lausitzer Neiße. Beim Passieren des Grenzflusses kam wohl jedem das erlösende Gefühl, von den Polen befreit zu sein, und aus Freude nahm jeder seine weiße Armbinde ab und warf sie hinaus. Da auch unsere Vorgänger aus gleicher Freude das getan hatten, sah der Bahnkörper aus, als ob er mit Schnee bedeckt wäre. An der nächsten Station angekommen, wurden wir im neuen Deutschland willkommen geheißen. Bei beständig schönem Wetter brachte uns der Zug immer weiter westwärts. Bei offenen Wagentüren ließen wir die Landschaft, die in voller Frühjahrsblüte stand, wie einen Film vorüberziehen. Auf den Bahnhöfen, wo der Zug halten musste, standen immer wieder ehemalige Landser, die nicht mehr nach Schlesien zurück konnten und erhofften sich Auskunft über ihre Angehörigen.
Am 7. Mai waren wir in Alversdorf. Mit Suppe, Brot, Butter und Wurst wurden wir verpflegt. Dazu gab es noch einen sauren Hering. Die Kinder bekamen Milch und sogar Schokolade. Zu allem Übel mussten wir uns nieder einer Entlausung unterziehen, mit gleicher Prozedur wie das erste Mal.
Für die Weiterfahrt standen uns Personenwagen zur Verfügung. Es war wohl ein besseres Fahrgefühl, aber unsere Situation blieb die gleiche. Die Fahrt schien endlos zu werden, besonders nachts. Wir fuhren durch Westfalen, durch das schöne Münsterland, mit den weit verstreuten Gehöften, geschützt unter hohen Eichen. Die großen Wiesen, von Hecken umgeben, die fruchtbaren Acker, unterbrochen von Hainen und Wäldern, geben dem Land das Bild einer großen Parklandschaft.
Am 8. Mai hatten wir Ahlen, die Endstation, erreicht. Mit einem Aufatmen - nach so einer langen Fahrt - verließen wir gern unsere Abteile und begaben uns in die Quartiere, in der Südschule, der Brunnfeldschule, im Schützenhof. Zum dritten Male wurden wir entlaust und ärztlich untersucht. Die Verpflegung war ausreichend. Sie bestand wieder aus Suppe, Brot, Butter und Wurst.
Bei der damaligen wirtschaftlichen Lage war alles gut organisiert. Drei Tage mussten mir noch das Lagerleben ertragen, bis wir am 1o. Mai, es war ein Freitag, mit Bussen in die umliegenden Gemeinden im Kreise Beckum verteilt wurden. Die Bürgermeister hatten es oft nicht leicht, uns Vertriebene unterzubringen. Zugegeben, nach dieser Woche, in der wir unterwegs waren, noch versehen mit den Resten der Entlausung in Haar und Kleidung, mussten wir etwas verkommen ausgesehen haben. So standen wir da mit unserem armseligen Gepäck. Unter diesen Umständen konnten wir keinen guten Eindruck machen.
Nicht selten wussten die Einheimischen auch nicht, wo wir herkamen und was sie auch wenig interessierte. Die zugewiesenen Unterkünfte waren oft menschenunwürdig und weit außerhalb der Dörfer in den Bauernschaften. Aber wir Schlesier waren ja bescheiden und genügsam geworden. Ein neuer Anfang musste gemacht werden. Jeder versuchte, sobald wie möglich wieder Arbeit zu bekommen, und nicht jeder konnte in seinem erlernten Beruf untergebracht werden. So ging der Lehrer als Handlanger auf den Bau, der Bäckermeister zur Zeche und der Bauer als Hilfsarbeiter in die Fabrik, und verdienten sich Ihren bescheidenen Lohn.
Die wenigen Lebensmittel wurden nur gegen Marken abgegeben, und wer Glück hatte, bekam für seinen Bezugsschein ein Kleidungsstück. Die Unterkünfte konnten für gewöhnlich nur bescheiden eingerichtet werden. Es fehlte einfach überall das Notwendigste. Der neue Anfang war schwer und die zutreffenden Worte - Erst wenn du in der Ferne bist, weißt du wie schön die Heimat ist. - bekamen tiefe Bedeutung. [...] <<