Objekt Riese:
Objekt Riese - zur Historie
Nach etwa zwei Wochen erschienen Arbeiter deutscher Unternehmen, die
von der Schlesischen Industriegemeinschaft A.G. aus Breslau Aufträge
erhalten hatten. So begann im Eulengebirge die Tätigkeit der OBERBAULEITUNG
RIESE, deren Bauunterfangen eines der größten während
des Zweiten Weltkriegs war. Mit den Arbeiten wurde von einem Tag zum anderen
begonnen. Zufahrtsstraßen wurden gebaut, die alten Waldwege repariert.
Für eine Kleinbahn wurden Schienen gelegt. Gleichzeitig entstanden
Baustellen für die Errichtung von Baracken für die deutsche
Bauleitung, die Soldaten sowie für die Kriegsgefangenen, russische
Soldaten und danach auch für die Häftlinge des Konzentrationslagers
Groß Rosen, die spätere Quelle von Arbeitskräften. Zeitweilig
sollen hier bis zu 28 000 Menschen gearbeitet haben.
Ins Gebirge rollten Transporte mit Menschen, Bergbau- und Baumaschinen.
Auch Gefangene kamen. Das Aushöhlen und Auffahren begann. In das
riesige Massiv des Wolfsbergs stieß man von vier Seiten vor: von
Wüstewaltersdorf im Osten, von Falkenberg im Süden, von Wüstegiersdorf
im Westen und von Hausdorf aus im Osten. Das Labyrinth von Gängen
und Hallen sollte wahrscheinlich in mehreren Ebenen entstehen, die man
mit einige zehn Meter langen Transportschächten verbinden wollte.
Trotz der aufs eingehendste ausgearbeiteten Baupläne war es unmöglich,
das festgelegte Bautempo einzuhalten. Die Würdenträger des Dritten
Reiches waren ungehalten. Man wechselte mehrmals die Bauleitung, neue
Transporte mit Arbeitskräften wurden herangebracht - alles vergebens.
Es war unmöglich, den Bau zu vollenden. Im Winter 1945 wurde den
Deutschen bewusst, dass sie eine furchtbare Niederlage erleiden würden.
Das allgemeine Organisationschaos gelangte auch in die ruhige Umgebung
von Wüstewaltersdorf, für das das Krieggeschehen bisher nur
in den Nachrichtenkommuniques und in der Wochenschau präsent gewesen
war. Es wurde angeordnet, die Häftlinge zu evakuieren, die Schwachen
und Kranken zu liquidieren. Aber jemand, der in der Hierarchie der Anführer
Nazideutschlands mit ganz oben stand, versuchte, das allgemeine Chaos
in den Griff zu bekommen. Diese Person war sich der Bedeutung und des
Nutzens des Objekts für Deutschland bewusst. Daher erteilte sie Order,
die Arbeit wieder aufzunehmen und neue Transporte ausgezehrter Häftlinge
zum 7 Aushöhlen von Gängen und zum Betonieren der Hallen in
den Berg zu schicken. Man wollte alles Wesentliche maskieren, um bei den
nahenden russischen Truppen den Eindruck zu erwecken, dass der Bau nicht
beendet worden sei und keinen Wert als strategisches Objekt besitze. Am
6. Mai 1945 traf jedoch der Befehl ein, die Arbeiten abzubrechen und die
Häftlinge herauszubringen. In den Bergen zog Ruhe ein. Alles endete
so plötzlich und leise, wie es begonnen hatte.
Am 8. Mai rückten die Russen in Wüstewaltersdorf und anderen
Ortschaften des Eulengebirges ein. Das, was sie erblickten, versetzte
sie in Staunen. Sie waren auf mehr als 10 größere und kleinere
Gefangenenlager gestoßen, auf zig Stollen, die in den Berg hinein
führten, wo das Innere zu Labyrinthen mit Hallen ausgebaut worden
war. Letztere waren so groß, dass darin Häuser Platz gehabt
hätten. In den Wäldern standen Betonbaracken und merkwürdige
Baukonstruktionen, ebenfalls aus Beton. Alles leer ... Sicher faszinierte
sie dieses riesige Bauvorhaben, von dem sie gehört hatten, es sei
zu Hitlers Hauptquartier bestimmt gewesen, oder dass hier Industriebetriebe
verborgen werden sollten, deren Produktion für die kämpfenden
Truppen der Wehrmacht bestimmt war. Können wir bei der Besichtigung
des unterirdischen Komplexes Dorfbach, seiner Rätsel, seiner Hallen
mit ungeklärter Bestimmung und seiner seltsamen Kammern die Frage
beantworten, zu welchem Zweck sie gebaut wurden? Wie bitter und tragisch
klingt heute die Frage: Mussten für dieses wahnwitzige Vorhaben von
1943 mehrere Tausend Menschen ihr Leben lassen? ... (1)<<
Was passierte mit den vielen Tausend Häftlingen am Ende des Krieges?
Wurde sie vor den Sprengungen in die Stollen getrieben, wie Gerüchte
besagen? Oder noch abtransportiert? - Im Buch "Die Flucht" (2) ist
folgender Bericht des Pfarrers E. Horn aus der Gemeinde Wüstegiersdorf
nachzulesen:
>>In der näheren Umgebung befanden sich mehrere Lager für
Juden. Von diesen wurden etwa
10 000 von den SS-Bewachungsmannschaften
umgebracht. Der Rest wurde erst Anfang oder Mitte April in Marsch in Richtung
gesetzt, setzt, einige blieben am Ort und kamen durch die Russen frei.
Außerdem befanden sich hier bei uns gefangene Polen, Italiener,
Franzosen, Engländer. Die Polen und die Italiener wurden von den
deutschen Wachmannschaften (zivile SS) scheußlich behandelt. Bevor
die Juden im Sommer 1943 kamen, waren große Lager mit Ukrainern
zum Dienst unter der O.T. da. In Massengräbern sie wurden in den Wäldern
verscharrt, wer von ihnen verhungerte oder, wenn erschöpft und nicht
mehr arbeitsfähig, erschlagen worden war. Im Sommer 1943 brach Typhus
unter ihnen aus. Die Zivilbevölkerung wurde geimpft, der Rest der
Ukrainer nicht, dafür aber mit unbekanntem Ziel abgeschoben... <<(3)
Dass die genannten Zahlen etwas zu hoch gegriffen sind, beweisen Auflistungen der Gedenkstätte des KZ-Rosen. Der Bevölkerung ist aber die hohe Anzahl der Häftlinge im Gedächtnis geblieben und menschenunwürdige Behandlung durch die SS-Wachmannschaften.
Auf den Webseiten des KZ-Rosen ist dazu nachzulesen:
>>Angesicht der näher rückenden Front wurden die Bauarbeiten für Projekt Riese wahrscheinlich im Januar 1945 eingestellt, aber man kann nicht ausschließen, dass die Arbeiten in manchen Orten bis Ende April weitergeführt wurden.
Aus den meisten Lagern wurden die erkrankten Gefangenen in die zentralen Krankenlager in Dörnhau und Tannhausen verlegt. Die marschfähigen Häftlinge der Lager in Falkenberg, Fürstenstein, Lärche, Märzbachtal, Wolfsberg, und Wüstegiersdorf wurden im Februar (16 II Wolfsberg) nach Bergen-Belsen, Flossenbürg und Mauthausen evakuiert. Die verbliebenen Häftlinge wurde im Mai 1945 von der einrückenden russischen Armee befreit.<<
Wie die Einwohner von Wüstewaltersdorf die Häftlinge und Gefangenen erlebte ist in einem gesonderten Kapitel nachzulesen.
"Zwischen dem 8. und 10.05.1945 besetzten russische Truppen das Gebiet des Eulengebirges. Die im Gebiet des Eulengebirges gelagerten Materialien dienten nach dem Krieg dem Aufbau Polens. In den Stollen selbst gab es auch nach dem Mai 1945 immer wieder Sprengungen. ...
Ein leitender Mitarbeiter des Baus, Ing. Dalmus, bot kurz nach dem Krieg der polnischen Regierung Pläne des Objektes an. Diese schaltete jedoch den Staatssicherheitsdienst ein und Dalmus konnte sich in letzter Minute nach Österreich absetzen. Er ist zwischenzeitlich verstorben. Über den Verbleib der Unterlagen ist nichts bekannt." (4)
Quelle: (1) aus www.polen-info.de, gelesen 2004 (Website nicht mehr online)
(2)"Die Flucht - Niederschlesien1945", Aufstieg-Verlag, München, 3. Aufl. 1977, ISBN 3-7612-0116-8
(3) Der Bericht befindet sich unter den Dokumenten des Bundesarchives in Koblenz, OD 1/22 18/46 223pg.
(4) Bericht Team-Delta, gelesen 2019
Bilder aus dem Buch " Die Führerhauptquartiere - Anlagen und Planungen im Zweiten Weltkrieg", Franz W. Seidler und Dieter Zeigert , München, Herbig Verlagsbuchhandlung, 3. Aufl. 2001